Following up my solo exhibition in Bremen-Vegesack, the local newspaper Weserkurier / Die Norddeutsche published an interview:

Fotokünstler Boris Eldagsen im Geschichtenhaus

Himmel und Hölle

Ulrike Schumacher. 18.05.2017

Herr Eldagsen, Sie sind ein internationaler Künstler. Ihre Werke werden weltweit ausgestellt. Was hat Sie in die norddeutsche Provinz, nach Vegesack, verschlagen?

Boris Eldagsen: Die Arbeitnehmerkammer Bremen und Peter Schenk, der die Ausstellung meiner Fotos im Vegesacker Geschichtenhaus kuratiert hat. Es war mir eine ­Freude, mit ihnen zusammenzuarbeiten und zu erleben, wie sie die Ausstellung und die begleitenden Veranstaltungen organisiert haben. Daran können sich andere Museen ein Beispiel nehmen.

Ihre aktuelle Ausstellung im Vegesacker ­Geschichtenhaus trägt den Titel „The Marriage of Heaven and Hell“. Warum sollten Himmel und Hölle den Ehebund eingehen?

Ich glaube, die haben sich längst verheiratet. Ich denke, dass unser Leben auf diesem Planeten genau die Schnittmenge zwischen Himmel und Hölle bildet. Wir sind auf dieser Welt gewissermaßen deren Kinder.

Wie zeigen sich Himmel und Hölle in Ihren Fotografien?

Was mich – ausgehend von der Philosophie – interessiert, ist die Frage, wie wir die Welt wahrnehmen und welches psychologische Make-up wir dafür in uns tragen. Mit meinen Bildern möchte ich beim Betrachter übers Gefühl, übers Unterbewusstsein eine Wirkung erzeugen. Ich denke dabei an die Theorie Carl Gustav Jungs, der die Realität als Ausdruck eines tieferen kollektiven Bewusstseins sieht. Künstlerisch kann man auf zwei verschiedene Arten arbeiten: rational-analytisch oder intuitiv-unterbewusst. Vergleichbar mit einem Eisberg. Was man von ihm sieht, ist nur die Spitze. Das, was darunter verborgen liegt, muss man ergründen. Auch, wenn ich intuitiv-unterbewusst ­arbeite, muss ich irgendwann die Dinge auf den Tisch legen und mich fragen: Wo ist der rote Faden? Viele unterschätzen das Unterbewusste, Irrationale. Dabei liegen dort unsere eigenen Antriebskräfte, die oft auch stärker sind als die Vernunft. Die Wahl Trumps ist nur ein Beispiel.

In Ihren Werken liegt etwas Geheimnisvolles. Was ist das Besondere an Ihrer Art zu fotografieren?

Ich fotografiere immer nur nachts. Ich bin dann wie eine Motte und suche nach einer Lichtquelle. Dabei gibt es zwei unterschiedliche Arbeitsweisen: Ich arbeite inszeniert mit Modellen oder ich arbeite nicht inszeniert, nach den Prinzipien der Street-Photographie. Beide Male mit minimaler Ausrüstung und ohne digitale Manipulation. Wenn ich mit Modellen arbeite, benutze ich eine Vorbereitung, die ich Tumbir-Bingo nenne. Dabei arbeite ich mit einer anderen Person. Ich benutze den unendlichen Strom von Bildern auf Tumbir, um mein eigenes Unterbewusstsein zu mappen. Mit einem Bilderspiel ermittle ich die Schnittmenge zwischen meinem Unterbewusstsein und dem des Models. Und aus diesem Prozess kommen wir hoffentlich bei dem an, was C.G. Jung „kollektives Unterbewusstsein“ nennt. Und wenn wir das schaffen, dann können diese Bilder auch zu allen anderen Menschen sprechen. Das scheint zu funktionieren. Es scheint keine Grenze zwischen den verschiedenen Kulturen und Religionen im Großen und Ganzen zu geben. Das sehe ich auch daran, dass meine Bilder an ganz unterschiedlichen Orten der Welt wirken.

Warum arbeiten Sie ausschließlich nachts?

Ich habe mich nachts immer wohlgefühlt. Ich assoziiere die Nacht mit Geborgenheit. In der chinesischen Yin-und-Yang-Philosophie steht Yin für Dunkelheit und Stille, aber auch für das Unterbewusste.

Was macht gute Bilder aus?

Die besten Bilder sind die, die man nicht in Sprache übersetzen kann. Wenn man nur über den Kopf arbeitet, erhalten die Bilder etwas Illustratorisches. Meine Art zu arbeiten, hat sich über 25 Jahre entwickelt. Die ersten 15 Jahre waren von der Düsseldorfer Schule dominiert, aber ich habe einfach weitergemacht. Ich habe zehn Jahre lang fotografiert, ohne auszustellen. Das war nicht immer ein Spaß. Viele Kollegen haben in der Zeit aufgegeben.

Gibt es Vorbilder für Ihre Art zu arbeiten?

Die gibt es. Viele kommen aus der Malerei und haben eine Verbindung zum Thema Unterbewusstsein. Zum Beispiel die Symbolisten um die Jahrhundertwende und auch die Surrealisten. Ich fand auch immer Rembrandt toll – mit seinem Licht. Es gibt aber auch Vorbilder in der Fotografie. Roger Ballen zum Beispiel, der auch viel mit Jung argumentiert. Ballen hat ein Türchen für die Möglichkeit der Fotografie nach der Düsseldorfer Schule geöffnet.

Sie werden bei der Nacht der Museen in Vege­sack zusammen mit dem Schné Ensemble auftreten. Was werden die Besucher erleben?

Es hat gut gepasst, dass das Schné Ensemble viele bekannte Gedichte vertont hat. Da ich auch meine Arbeiten Gedichte – Poems – nenne, gibt es eine klare Schnittmenge. Ich wähle zu den Schné-Songs Videos aus. Zwei große Ballons dienen dabei als Projektionsfläche.

Das Fotografieren ist in unserer digitalen Zeit überall und geradezu inflationär zu beobachten. Hat man es als Fotokünstler heutzutage schwerer, wahrgenommen zu werden?

Das, was ich fotografisch mache, wird wahrgenommen. Auch, weil aus den Bildern eine Haltung spricht. Es geht mir ums Sehen und um die innere Einstellung. Die Flut der Bilder heute wird mit Handys und Filtern und vorfabrizierten Einstellungen hergestellt. Ich verwende nichts davon. Technisch arbeite ich noch wie ein Höhlenmensch. Einer der klassischen Kreativitätsgedanken ist Beschränkung. Je mehr man sich beschränkt, desto kreativer wird man. Die meisten Menschen, die eine Kamera haben, nutzen doch eigentlich nur fünf Prozent ihrer Möglichkeiten. Da macht es doch Sinn, diese fünf Prozent bewusst auszuloten.

Das Gespräch führte Ulrike Schumacher.

Boris Eldagsen (47) ist gebürtiger Pfälzer und hat Kunst und Philosophie studiert, unter anderem in Prag und im indischen Hyderabad. Der Fotomediakünstler stellt ­seine Werke weltweit aus und lebt in Berlin.
Lange Nacht der Museen Die Fotos des Berliner Künstlers Boris Eldagsen sind in Kooperation mit der Arbeitnehmerkammer Bremen noch bis zum 18. Juni im Vegesacker Geschichtenhaus am Museumshafen zu sehen. Zur ­langen Nacht der Museen am Sonnabend, 20. Mai, bietet der Künstler ab 19.30 Uhr eine Führung durch seine Ausstellung an. Um 21.30 Uhr tritt Boris Eldag­sen zusammen mit dem Schné Ensemble auf. Zu einer Mischung aus Jazz, Chansons, Kammer- und Weltmusik zeigt er Foto- und Videoprojektionen.